Dienstag, 30. November 2010

Club Real - Der geliebte Feind

Ich soll Danke sagen für den blauen Turban

Eine Installation im öffentlichen Raum.
Kein Eintritt, kaum Publikum das extra dafür vorbeischaut, eher "Laufkundschaft" -  Ziel erreicht.
Menschen, die in ihrem Alltag meist kaum zeitgenössische Kunst konsumieren, produzieren, reflektieren, stolperten vorige Woche über einen geisterhaften Nachbau der Goethestatue am Ring. Genau gegenüber, gespiegelt. Ja, genau!

Wos is´n des?

Es ist die Spiegelung der Goethe-Statue gegenüber, eine Repräsentation von Hafis, dem persischen Dichter, den Goethe so verehrt hat.

Kunst? wohrscheinlich ah no gfördert? Na so ein Dreck.

Ohne sich auch nur informieren zu lassen gehen einige Menschen an der Insallation vorbei.
Viele beäugen das Objekt aber mit Interesse. Manche lassen sich auch auf ein Gespräch ein und betreten das "Brigitte-Koppelstätter-Museum" in dem die Künstlerin aka Brigitte Koppelstätter (und ihr Kollege in Leichenstarre) sie empfangen.





Es gibt drei Stationen die über Kopfhörer Geschichten und Informationen für die Besucher_innen bereit halten. Konvertierte Muslime, Muslimische Vorbilder und Heilige; und eine abstruse Geschichte über ein Duell zwischen Brigittes Vater und eine (nun vermissten) Imbissbudenbesitzer. Ausgeführt mit Kebap-Messer und historischem Persersäbel.

Es ist ein Ort um sein eigenes Bild vom Islam zu reflektieren.
Eine Variation an Menschen wird von der Statue angelockt. Viele Muslime kommen und tauschen sich mit der Künstlerin aus. Es ist höchst interessant, wie sie berichtet. Ich stehe leider draußen und bekomme den Großteil nicht mit.

Am meisten davon profitierten die KünstlerInnen durch den regen Austausch der statt gefunden hat und die neuen Informationen, die sie von den Expert_innen der muslimischen Religion erhalten haben. Ich hoffe auf eine Verarbeitung oder Veröffentlichung!

Club Real - Der geliebte Feind - im Rahmen meiner Arbeit betreut am 19.11.2010.

Garage X (Michael von zur Mühlen) - GOOD NEWS

Sind wir dem indischen Zeitungsverkäufers zuletzt noch bei Super Nase & Co als Stereotyp und Mittel zum Zweck begegnet, so ist er in diesem Stück Hauptdarsteller, Mittelpunkt.

Inspiriert durch und bezogen auf den 1990 erschienen Dokumentarfilm des österreichischen Regisseurs Ulrich Seidl, nimmt sich das Stück der Thematik rund um diese Ausformung der Lohnsklaverei, die meistens Migrant_innen durchleiden müssen, an.



In einer selbstreflektierenden und doch einstudierten Phase wird das Publikum verwirrt und dadurch aufmerksam gemacht, aufnahmebereit.

und dann wird geschissen, geschrien, ausgezuckt, "Tötet Strache!" skandiert.
Die Ohnmacht der "Arbeitnehmer" wird spürbar.
Die Wut der Menschen die mit ihnen Fühlen genauso.
Das Paradox der Krone wird dadurch verständlich: nur wer auf die kleinen losgeht, kann sie auch als Lohnsklaven halten.



Manche Menschen sehen soziale Unterschiede eben noch gerechtfertigt an in der Herkunft der Menschen.
Verdammte Scheiße.

Das Bühnenbild umwerfend. Die Schauspielkunst auf hohem Niveau. Das machte die Sache trotz schwieriger Thematik dann doch noch zu einem erfolgreichen Abend.


Die verkürzte Beschreibung ergibt sich durch die mittlerweile verstrichene Zeitspanne seit dem Besuch.
GOOD NEWS - am 17.11.2010 in der GARAGE X

God´s Entertainment/Supernase & Co: TRANS-EUROPA-BOLLYWOOD

Meine Lieblingstruppe aus der Ecke "interaktive Performance" hat sich dem Farbrausch "Bollywood" hingegeben.

Wie kommt soetwas zustande?
WARUM?

Ich werde nocheinmal persönlich mit ihnen darüber sprechen.

Hier zum Stück:

Intro:
Klassisches Bollywoodelement - das Sterbebett eine Elternteils, hier des Vater. Die letzten Wünsche werden ausgesprochen. Die Vermählung der Tochter - der Bruder kümmert sich darum!
Als das Stereotyp des indischen Zeitungsverkäufers schlägt er sich in Wien durch.

Und dann gibt´s ein bisschen RambaZamba und wir dürfen endlich mitmachen.
1-2-oder-3 wird gespielt, und es geht sogar um was! Ein Flugticket nach Mumbai/Bombay, die Namensgeberin der in die Mangel genommenen Filmindustrie.

Die Gewinner_innen fühlen sich exklusiv. Darunter auch ich. Wir sind schon was besseres.
Meine Freundin, meine Begleitung für diesen Abend, bleibt zurück, so wie 2/3 der Zuschauer_innen.
Als wir das Flugzeug in der anderen Hälfte des Raumes besteigen - sie haben wirklich ein Flugzeug gebaut diese Wahnsinnigen - sind wir alle einmal stuzig. Das ist zu viel. Wo bin ich? Bordservice? Out of gas? Zwischenlandung auf einer Tankstellen-Wolke: ein Kindheitstraum wird wahr. Schon immer wollte ich auf Wolken spazieren - und nun ist es möglich: powerd by GE!

Danach schnell gelandet, hopp hopp.
Was erwartet uns in Indien? Ein Filmdreh.
Wir die Europäer müssen uns von der Masse begrüßen lassen, uns herzlich empfangen lassen.
Wer sind die ganzen Leute? Die zurückgebliebenen Leute wurden nach Indien gebeamt.
Der Film als Reise per Knopfdruck, auf der Fernbedienung.

In bunte Stoffe gehüllt bejubeln sie unseren Empfang, doch der Regisseur ist nich zufrieden. Nocheinmal, und nocheinmal! Aber jetzt wird getanzt, und gelacht!

I LOVED IT!!!

Gesehen am 13.11.2010 im WUK in Wien

Freitag, 12. November 2010

Doris Uhlich - Rising Swan

Wenn ich von Doris Uhlich schreibe, so bilde ich mir ein ich müsse starke Wörter verwenden, so etwas wie innbrünstig, oder Wörter die die Kraft von stampfenden Massen wiederspiegeln. Sie ist keine zierliche Frau, das ist ihr Kapital. Sie hat ihre Außenseiterrolle in der Tanzindustrie zu ihrem Markenzeichen verwandelt, ihr Körper entspricht nicht der Doktrin der Neuzeit. no na - wie es im Wienerischen so schön heißt für - eh schon wissen.
Heute ist sie erfolgreich und niemand kann ihr das absprechen. Sie hat zahlreiche ausverkaufte Produktionenn hinter sich, ihr Style ist kein unbekannter. Deshalb war ich auch die erste Hälfte des Stücks eher in einer (er-)wartenden Haltung, sie solle mich doch überraschen. Und dann WUMMM!

Aber zurück zum Anfang.
80er-Rocker-Outfit. Präzise Zeitlupenbewegung am Boden. Dazu ein 80er-Sound. Aufbruch.
Mit der "geloopten" Schrittfolge aus dem Original versetzte sie mich in Trance, durch minutenlanges Trippeln. Der erste Kraftakt, die erste Ausdauerprobe.
Ein Monolog beginnt. Sie präsentiert uns ihre Visionen in deutsch-gefärbtem Englisch. Ein (notgedrungener?) Scherz. Bei mir kommt er gut an, besser als das peinlich bemühte Englisch meiner Professoren auf der Uni allemal.
Sie erzählt von ihren (un)gebrochenen Träumen, und jenen ihrer Mitmenschen, bis hin zu personifizierten Gegenständen. Das Publikum lacht. Es ist eine verdammte Tanzperformance und die Frau bringt uns zum Lachen. Es gefällt und schön langsam wird mein "Warten" abgelöst durch den Aufnehmemodus. Ich bin bereit.

Und dann erschlägt sie mich mit einem ästhetischen Meisterwerk: Sie taucht ihr langes Haupthaar, das sie sonst fast nie offen trägt, in einen Kübel Wasser. Zieht es mit einem (es ist mir nicht möglich, es anders zu nennen als so:) gekonnten Schwung heraus und lässt es in einem großen Bogen nach hinten auf ihren Rücken peitschen. Es ist nicht die erotisierte Vorgeschichte dieser Bewegung, die mich fasziniert. Der Hintergrund ist schwarz, jeder Tropfen ist sichtbar. Die Zeit bleibt stehen und doch ist es nur ein kurzer Augenblick, der im selben Moment auch schon wieder vorbei ist. Adrenalin: ich habs gesehen, ich habs LIVE miterlebt, diese Schönheit, diese Wasserstrahlen. Das ist Theater, so vergänglich.

Klitschnass durch den Rest vom Kübel, den sie sich über den Kopf leert, quatscht sie nun weiter. Im Sitzen, im Liegen, aufrecht, vornübergebeugt - das Wasser durchdringt ihre hautenge Hose, am Po bilden sich kleine Wasserbläschen. Es ist gutdurchdachte Lenkung der Aufmerksamkeit auf den "Makel". Ein Medley wird gesungen, die zuvor vorgetragenen Visionen werden wieder hervorgeholt, verschränkt, zerstückelt, neu zusammengesetzt, es werden Referenzen gezogen. Es macht Spaß.

Sigmund Freud - analyze this!

Mit diesen Worten verabschiede ich mich, auch wenn Doris noch weitertanzte!

Ann Liv Young - Cinderella

She´s a lonely biatch. 
Ella. And covered in cinder. As Rhianna in Umbr. Ella. Ella. ey!ey!oh!oh!

(Cinder)ella alias Sherry aka Ann Liv Young sieht sich im einsamen Turm der verdammten Künstlerin eingesperrt, wiederholt immer und immer wieder die gleichen unnützen Tätgkeiten, ist sich dessen bewusst, ändert aber nichts daran. Sie ist alleine. Die für ihren Unterhalt sorgende Stieffamilie ist ihr verhasst, sie ist es, die dafür sorgt, dass sie aus ihrem fortwährenden Handlungskreislauf nicht ausbricht, sie aber gleichzeitig am Leben hält. Sie könnte fortlaufen. Doch die zu erwartenden Gesell_innen da draußen sind ihr ebenso ein Graus, die "Künstler_innen" - ein langweiliges Volk - a terrible company. Genauso ihre Financiers, die Stieffamilie, der Staat, die "Förderung".
So vertreibt sie ihre verbleibende Zeit damit, sich die Dinge zu erträumen, ihrer Umgebung Leben einzuhauchen, das nicht da ist. Beginnt mit Tieren zu sprechen, sie zu personifizieren. Doch irgendwann erschöpft sich auch das, es gibt keinen input, ihr Körper ist die Grenze (ihrer Phantasie).




Alles wird wiederverwertet, wiedergekäut, nach der Ausscheidung wiedereingeführt. Und doch nicht dem Kreislauf wiederzugeführt, eher rückwärtsgespult.
Sie sitzt in der Scheiße, die Misere trägt ihren Namen, sie ist am Boden. Warum ist sie nur weiß geboren? Dem Leistungsdruck ihrer Hautfarbe hält sie kaum stand, wie schön wäre es denn, einer anderen Ethnie (die sich weiter unten in der Hirarchie der Hegemonie wähnt) zuzugehören: die Erwartungen der Gesellschaft wäre um einiges niedriger, ihr Leben um einiges einfacher. So die Logik der Prinzenanwärterin.
Und in ihre Scheiße zieht sie das Publikum mit hinein. Um nicht allein zu sein. Um einen Austausch zu ermöglichen. In einer Rhetorik der Sonderklasse, die sonst rechtsradikale (populistisch heuchelnde) Politikern zum Einsatz bringen, oder auch ein gewisser Herr Blumenau on Air, biegt sie sich ihre Wahrheit zu recht. Sie ist eine geschulte Provokateurin, die wahre Unterhaltung in diesen Unterhaltungen kommt aus dem Publikum, auf das sie lediglich reagiert, wenn sein muß mit weiteren Provokationen aus ihrem Performance- und Erfahrungsrepertoir.

Doch als Rapperin macht sie eine gute Figur. Es kommt eine ungemeine Komik zustande. Sie brüllt, die Musik ist laut, ich lache Lauthals, keiner hörts, mir ist´s recht.

Es war ein traumatischer Genuß, Das.



Ann Live Young in ihrer Performance Cinderella im brut (Konzerthaus) am 11.11.2010 gesehen.

Donnerstag, 11. November 2010

Pierre Bourdieu - Soziologische Fragen II

"Eine bedeutsame Eigenschaft eine Feldes besteht darin, daß es Undenkbares enthät, das heißt Dinge, die überhaupt nicht diskutiert werden. Es gibt die Orthodoxie und die Heterodoxie, aber auch die Doxa, das heißt die Gesamtheit dessen, was als Selbstverständliches hingenommen wird, insbesondere die Klassifiktationssysteme, die festlegen, was als interessant bewertet wird und was als uninteressant, wovon niemand denkt, daß es erzählt zu werden verdient, weil keine (Nach)Frage besteht. ... Das Verborgenste ist das, worüber alle Welt sich einig ist, so einig, daß nicht einmal darüber gesprochen wird, ist das, was außer Frage steht, was selbstverständlich ist. Das was die historischen Dokumente am komplettesten im Dunkel zu belassen drohen, da niemand auf den Gedanken kommt, das Selbstverständliche festzuhalten; das, was die Informanten nicht sagen oder wenn, dann nur, indem sie es auslassen, indem sie schweigen." (BOURDIEU S. 81 - Soziologische Fragen)

Einfach ist es, sich mit fremden Federn zu schmücken. Besser könnte ich meine Gedanken aber nicht zu Wort bringen, deshalb sind sie geliehen.
In meiner Feldforschung in Juchitan, Mexiko, habe ich diese Erfahrung auch gemacht: die Geschlechterdifferenzen sind kaum Thema des alltäglichen Gesprächs. Auch wenn der Diskurs durch das internationale Interesse an der Region angeregt wurde, bis in die Häuser der Bewohner der ruralen Kleinstadt ist er keineswegs durchgedrungen. So haben manche als Antwort auf die Frage: Was bedeutet Mann(-sein) für dich? nur jene Antwort parat: Ein Mann ist ein Mann. Basta.




Pierre Bourdieu - Soziologische Fragen

P. Bourdieu auf der Tagung "Ethnologie und Politik im Maghreb" im Jahre 1975: "Erste Frage: Hier wurde beschlossen, über Sozialgeschichte der Sozialwissenschaft zu sprechen usw. Ist das von Interesse? Dies ist ein Typ von Frage, der nie gestellt wird: Wenn wir hier sind, um darüber zu reden, dann schätzen wir, daß das von Interesse ist. Aber zu sagen, daß wir an einem Problem interessiert sind, ist eine euphemistische Art und Weise, um jene Grundtatsache zu benennen: Daß für uns in unseren wissenschaftlichen Produktionen vitale Interessen stecken. Diese Interessen sind nicht unmittelbar ökonomisch oder politisch, sie werden als interessenlos erlebt: Den Intellektuellen ist es eigen, interesselose Interessen zu haben, Interesse an der Interesselosigkeit zu haben. Wir haben Interesse an den Problemen, die uns interessant erscheinen. Das bedeutet, daß zu einem bestimmten Moment eine bestimmte Gruppe von Wissenschaftlern ein Problem als interessant konstituiert, ohne daß eine einzelne Person dies entscheiden würde: Eine Tagung veranstalten, eine Zeitschrift wird gegründet, Artikel, Bücher, Rezensionen werden geschrieben. Es "zahlt sich aus", über dieses Thema zu schreiben, das bringt Profite, Gewinne, Vorteile ein, weniger in Form von Autorenhonoraren (das mag mitspielen) als in form von Prestige, symbolischer Gratifikation usw." (BOURDIEU S. 77 in Soziologische Fragen)


Wie durch Zufall ist mir diese Textstelle heute in die Hände gefallen.
Ich schätze mich glücklich mit diesem Zitat meinen Blog ins Leben zu rufen.
Eine gendergerechte Formulierung müssen wir uns für dieses Zitat selbst denken. Es sei in diesem Fall gestattet, da aus einer anderen Epoche.